Wie er die Red-Holstein-Zucht prägte (2024)

Jürg Stoll war 24 Jahre Sire Analyst Red Holstein bei Swissgenetics. Im Interview spricht er über aktuelle Trends, über die Zukunft der roten Kuh und seine Arbeit im genomischen Zeitalter.

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Der Schweizer Red-Holstein-Stier habe heute eine viel höhere Akzeptanz als früher, sagt Jürg Stoll.

Adrian Haldimann

«Schweizer Bauer»: Über 20 Jahren trafen Sie bei Swissgenetics als Sire Analyst Red Holstein wichtige Zuchtentscheide. Wie hat sich die rote Kuh in dieser Zeit entwickelt?

Jürg Stoll: Die rote Kuh hat sich leistungsmässig verbessert, das Erscheinungsbild hat sich ebenfalls verändert. Weil die schwarze Holsteinkuh früher für die rote Kuh eine Konkurrenz darstellte, sprach man von der starken roten Kuh. Diese musste mehr Stärke haben und nicht so scharf und milchbetont sein wie die schwarze Holsteinkuh.

Wie schätzen Sie die heutigen Qualitäten der RH-Kuh ein?

Als ich vor 25 Jahren die Betriebe besuchte, traf ich die verschiedensten Kühe an – teils mit grossen voluminösen Eutern. Das ist heute nicht mehr so. Ich sehe heute fast nur noch gute Kühe. Die Tiere sind viel einheitlicher geworden.

Welcher Stier hatte einen starken Einfluss auf die RH-Zucht?

Der Rotfaktorstier Rubens beschäftige die Zucht während vieler Jahren. Er vererbte gefragte Qualitäten wie starke Euter, tiefe Zellzahlen und super Beine. Es waren oftmals schmalere Tiere mit teils ansteigenden Becken. Der Astre-Sohn läutete den Wechsel von der starken roten Kuh zur eleganten, milchtypischen Kuh ein.

Rubens war mit Jahrgang 1993 um die Jahrtausendwende prägend. Doch heute geht es von der schärferen Kuh wieder hin zum robusteren Typ. Bestätigen Sie diese Entwicklung?

Während der letzten Jahre veränderte sich das Erscheinungsbild der roten Holsteinkuh erneut. Die Zucht geht wieder weg vom Rubens-Typ. Sie entwickelt sich zu einer etwas weniger grossen, kraftvollen Kuh mit viel Brustbreite.

Zur Person

Jürg Stall absolvierte die Handelsschule und ist gelernter Landwirt. Bereits bevor Stoll im Jahr 2000 Sire Analyst bei Swissgenetics wurde, beschäftigte er sich mit der Stierenbeschaffung. So engagierte er sich zuvor beim Zuchtverband Swissherdbook in der Rassenkommission, welche bis im Jahr 2000 für die Stierenselektion verantwortlich war. Der 64-Jährige war massgeblich an der Entwicklung der Red-Holstein-Zucht beteiligt gewesen.

In seiner Zeit sind Schweizer Stiere wie Savard, Leonard, Incas und Blitz entstanden, welche die Red-Holstein-Zucht stark beeinflusst haben. Stiere wie Rustler, Sam, Joyboy und viele mehr wurden vor dem genomischen Zeitalter durchStollbeschafft. Später folgten Importstiere wie Agent, Attico und Weitere. Aktuell sind es die Stiere Brenaco, Arland, Andero usw., welche zuletzt im Markt lanciert wurden.Bis im Jahr 2004 bewirtschaftete Stoll in Salvenach FR einen Ackerbau- und Milchwirtschaftsbetrieb. Heute lebt er in Cressier FR, hat vier Kinder und ist fünffacher Grossvater.

Weshalb diese Entwicklung?

Je grösser die Betriebe werden, umso mehr sind «easy handling cows» gefragt. Einen Einfluss auf die Entwicklung haben auch die Schaurichter an Ausstellungen. Und auch Anpassungen bei den Zuchtwerten spielen eine Rolle. So stehen zum Beispiel seit einem Jahr Stiere mit weniger Körpergrösse in der Euternote nicht mehr im Nachteil zu Stieren mit viel Körpergrösse.

Bei einer Euternote von 115 kann immer noch mit guten Eutern gerechnet werden.

Jürg Stoll

Geht der Fokus etwas weg von hohen Euternoten vor allem bei Züchtern, die die robuste RH-Kuh mit viel Milch suchen?

Um einen Stier gut vermarkten zu können, braucht er eine Euternote von mindestens 120. Es ist aber schon so, dass auch bei einer Euternote von 115 immer noch mit guten Eutern zu rechnen ist. Gefragt ist ein ausgeglichenes Profil in sämtlichen Merkmalen.

In Ihrer zweiten Zeithälfte als Sire Analyst wurden die genomischen Zuchtwerte eingeführt. Was brachten diese der Zucht?

Die Anfänge waren happig. Es gab viele Enttäuschungen. Ich denke zum Beispiel an den Alchemy-Sohn Andrin, der vor zwölf Jahren mit super genomischen Zuchtwerten brillierte und später viele Züchter mit seinen Töchtern nicht überzeugte. Dann wurde die Sicherheit der Zuchtwerte erhöht und der Zuchtfortschritt beschleunigte sich. Deshalb sehen wir heute eine hohe, ausgeglichene Qualität der Tiere.

Wie hat sich Ihre Arbeit im genomischen Zeitalter verändert?

Früher war ich drei oder vier Tage pro Woche unterwegs auf den Zuchtbetrieben. Während der letzten Jahre hat sich die Arbeit ins Büro verlagert. Es gibt fortlaufend neue Zuchtwertlisten, die analysiert werden müssen. Von zehn genomisch getesteten Stieren wird einer von Swissgenetics angekauft.

Sie gehen aber nach wie vor auf die Betriebe – auch im Ausland.

Die Arbeit im Ausland hat sich grundlegend verändert. Heute reise ich zum Beispiel in die USA, um gute weibliche Genetik auch mit anderem Blut zu selektionieren, die für die Schweiz interessant sein könnte. Bei uns in der Schweiz fehlen aufgrund des starken Einsatzes von gesexten Samendosen immer mehr die Stierkälber. In der Schweiz schätze ich nach wie vor den Austausch mit den Züchtern, auch wenn das Interesse an der Stierenzucht im letzten Jahrzehnt zurückging.

Weshalb?

Wir haben in der Schweiz viele gute Kuhfamilien. Stiere wie zum Beispiel Absolute oder Awesome fegten aber die Stierenmutterqualitäten weg. Mein Wunsch ist es, dass sich engagierte Züchter wieder für die Stierenzucht begeistern lassen.

Wie soll das geschehen?

Es bräuchte eine gezielte Entwicklung und Selektion auf der weiblichen Seite mit zum Beispiel Embryotransfer. Die Zucht ist viel intensiver geworden, sie ist aber interessant.

Die Diskussion über Preise und Anpassungen ist ein laufender Prozess.

Jürg Stoll zu den Stieren-Kaufverträgen

Für die Züchter ist aber diese Arbeit mit hohen Kosten verbunden. Müsste Swissgenetics demnach den Züchtern höhere Preise für ihre Stiere bezahlten?

Swissgenetics hat grundsätzlich interessante Verträge. Die Diskussion über Preise und Anpassungen ist ein laufender Prozess. Die Entwicklung der weiblichen Seite sollte unabhängig in einem separaten Programm laufen.

Sie haben zuvor die Auslandreisen angesprochen. Wie arbeiten Sie mit den ausländischen Betrieben und Genetikunternehmen zusammen?

Ich verfolge bestimmte Kuhfamilien über eine längere Zeit, wie zum Beispiel die Roxy- oder die Altitude-Familie. Dann treten einige US-Zuchtbetriebe besonders in Erscheinung. Neben Trent-Way werden in den kommenden Jahren auch AOT, das Syndikat von Midas-Touch und Kings-Ransom, sowie Genosource wichtige Lieferanten von roter Genetik sein. Die persönlichen Kontakte sind wichtig, man lernt viel von Leuten wie zum Beispiel Tim Rauen, dem Leiter des Genosource-Zuchtprogramms. Mit ihnen wird auch die zukünftige Genetik für die Schweiz entwickeln. Das Gegenseitiges Verständnis der Zucht soll gefördert werden. Oftmals geht es darum, etwas mehr Exterieur in hohe Zuchtwertlinien zu bringen.

Sie sind im Ausland ständig auf der Suche nach interessanten weiblichen Rindern, von denen Swissgenetics importieren will. Will Swissgenetics in Zukunft noch mehr eigene Stiere auf den Markt bringen?

Swissgenetics verfolgt das Ziel, dass nicht mehr als 25 Prozent eigene Stiere in den Einsatz kommen. Das soll so bleiben. Wir sind auf die Zusammenarbeit mit den Züchtern angewiesen. Und weibliche Importgenetik geht schlussendlich zurück zu den Züchtern.

Haben die genomischen Zuchtwerte die Suche nach geeigneter Genetik vereinfacht?

Es ist nicht einfacher geworden. Manche in der Vergangenheit gefragte Kuhfamilien zeigen nicht die gewünschten Zuchtwerte. In solchen Fällen braucht es gezielte Anpaarungen – oftmals sind Stier mit hohen Gesamtzuchtwerten gefragt, um daraus dann doch wieder eine potenzielle Stierenmutter zu erhalten. Die Züchter müssen Bereitschaft zeigen, solche Anpaarungen zu machen.

Rote und schwarze Kühe müssen ähnlich sein

Jürg Stoll

In der Schweiz nehmen die schwarzen Holsteinkühe zahlenmässig auf Kosten der RH-Kühe zu. Welche Zukunft hat die rote Kuh und wie muss sie sich entwickeln?

Rote und schwarze Kühe müssen ähnlich sein. Es ist eine Vorliebe zur roten Kuh und ihre guten Qualitäten, die ihr Überleben sichern wird. Es ist wichtig, dass die Züchter beim Stiereneinsatz die Milchleistung nicht vernachlässigen. Die rote Kuh wird sich in Zukunft auch in immer mehr gefragten Merkmalen wie Hornlosigkeit oder Slick behaupten können. Es werden bald erneut sehr gute, interessante RH-Stiere auf den Markt kommen. Der Schweizer RH-Stier hat heute eine viel höhere Akzeptanz als zu meiner Anfangszeit als Sire Analyst.

Gerade US-Betriebe arbeiten mit den modernsten Züchtungstechniken. Befürchten Sie nicht, dass zum Beispiel die rote Fellfarbe oder das Hornlosgen mittels Genom Editing verbreitet wird und so die Zucht in der Schweiz erschweren könnte?

Das führende Genetikunternehmen ST Genetics in den USA nutzt diese Technik bisher nicht. Sie befürchten einen Aufschrei der Konsumenten.

Sie können auf zahlreiche Erfolge in Ihrer Karriere zurückblicken. Was war das Highlight?

Der Stier Savard war zwei Jahre weltweit der meistverkaufte RH-Stier. Solche Meilensteine vergisst man nie. Seit meiner Kindheit beschäftigte ich mich mit der Red-Holstein-Zucht – sie prägte mich mein Leben lang.

Wie er die Red-Holstein-Zucht prägte (2)

Ein Archivbild zeigt Jürg Stoll und Savard am mit Kerzen geschmücktene Mais-Geburtstagskuchen. Ende Jahr 2012 feierte Savard, ein Sohn von Brad, seinen zehnten Geburtstag.

zvg

Wie gestalten Sie Ihre Zukunft? Kann man Sie als Genetikberater engagieren?

Ich werde nun bald mehr Freizeit mit meiner Familie und meinen Grosskindern geniessen. Es liegen auch mehrere Jobangebote, teils auch aus dem Ausland, auf dem Tisch. Diese werde ich mir aber erst nach meiner Pensionierung genauer anschauen.

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